Letzte Woche bin ich durch Zufall auf ein Interview mit Maurice Höfgen gestoßen, der mir Konzepte der Modern Monetary Theory (MMT) nähergebracht hat. Maurice Höfgen ist Volkswirtschaftler, der derzeit als wissenschaftlicher Berater im Bundestag angestellt ist und freiberuflich als Autor tätig ist.

Was ist die Modern Monetary Theory?

Obwohl MMT sich als Theorie bezeichnet, sind ihre Grundlagen empirischer Natur und beruhen auf Beobachtungen, wie Geldschöpfung bzw. -vernichtung in der heutigen Welt im Wechselspiel zwischen Staaten und Zentralbanken funktioniert: der Staat bittet die Zentralbank, Geld zu schöpfen, und verteilt dies über Geschäftsbanken an den Kreislauf der Privatwirtschaft. Bilanztechnisch verschuldet sich dabei der Staats gegenüber der Zentralbank. Auf der anderen Seite bilden Steuern das Instrument des Staates, Geld aus dem privaten Wirtschaftskreislauf wieder herauszuziehen, womit er sein Konto bei der Zentralbank wieder auffüllen kann. Zentrale Beobachtung der MMT ist aber, dass die Bilanz des Staatskontos bei der Zentralbank keine Rolle spielt, da diese bloß eine weitere staatliche Institution ist.

Wichtige Konsequenz der MMT ist, dass ein Staat jederzeit Rechnungen in seiner eigenen Währung bezahlen kann.

Was bedeutet MMT für die Politik?

Die Modern Monetary Theory ist bloß ein Blickwinkel auf die Geldschöpfungskette, ohne an jegliche politische Handlungen geknüpft zu sein. Aus der Erkenntnis, dass eine Neuverschuldung in der eigenen Währung jederzeit möglich ist und Staatsausgaben nicht automatisch über Steuereinnahmen gedeckt sein müssen, können ganz unterschiedliche politische Handlungsweisen abgeleitet werden: in einer linken Interpretation könnten beispielsweise Sozialausgaben gefordert werden oder Unterstützungen bestimmter Wirtschaftszweige, während in einer liberaleren Auffassung auf gleicher Grundlage Steuersenkungen begründet werden können. Die MMT ist also weder eine linke noch eine rechte Theorie.

Erhöht MMT die Inflation?

MMT kann gar nicht für Inflation verantwortlich sein, weil es bloß eine Betrachtungsweise darstellt, aber kein politisches Handeln. Gerne wird MMT aber als Rechtfertigung für eine lockere Geldmarktpolitik angeführt, die bei falscher Ausführung tatsächlich zu Inflation führen kann. Während bei klassischer Politik eine Begrenzung oder Verringerung der Verschuldung die Leitlinien diktiert, wird eine gewissenhafte MMT-nahe Politik durch das Ziel der Inflationsbegrenzung dominiert.

Der Blick der Modern Monetary Theory auf die Privatwirtschaft sieht prinzipiell so lange Investitionsmöglichkeiten, bis Vollbeschäftigung vorliegt und die Produktivität voll ausgeschöpft ist. Wann immer dies nicht der Fall ist, wäre es theoretisch möglich, durch gezielte Investitionen die gesamte Produktivität weiter zu erhöhen.

Inflation tritt als Folge einer gestörten Balance zwischen Angebot und Nachfrage ein, typischerweise als Auswirkung von Angebotsknappheit. Natürlich darf der Staat dann nicht durch Erhöhen zusätzlicher Nachfrage die Situation eskalieren lassen und eine Inflationsspirale auslösen. Es gibt allerdings viele Beispiele, wo Branchen auf der Angebotsseite gut aufgestellt waren, aber die Nachfrage einbrach und ganze Wirtschaftszweige dadurch ins Abseits gedrängt wurden. Ein prominentes Beispiel ist die Solarindustrie in Deutschland, die lange Zeit mit zum Teil staatlicher Förderung aufgebaut worden ist. Nach Kürzung der Förderungen durch die Politik zu einem Zeitpunkt mit schwacher Binnennachfrage musste die Solarindustrie jedoch ihre Standorte in Deutschland schließen. Zu diesem Zeitpunkt hätte eine staatliche Investition die Nachfrage hoch halten können und so ohne Gefahr einer Inflation die Produktivität stärken können.

Politik kann durch falsche Entscheidungen die Inflation befeuern und durch kluge Maßnahme abschwächen, dies ist aber prinzipiell unabhängig von der Modern Monetary Theory.

Braucht es in der MMT überhaupt Steuern?

“Wozu braucht es überhaupt Steuern, wenn doch in der MMT keine Steuereinnahmen erforderlich sind, um Staatsausgaben tätigen und Schulden rückzahlen zu können?”

Tatsächlich bringt MMT die Freiheit, das Steuersystem umfangreich reformieren zu können, ohne Angst vor Staatsverschuldung haben zu müssen. Im Mittelpunkt steht dabei die Aufgabe von Steuern, die Gesellschaft zu “steuern”: während Staatsausgaben und Investitionen das Gaspedal sind, bilden Steuern die Bremse.

Als mögliche Ideen nennt Maurice Höfgen beispielsweise verschiedene Konsumsteuern: während eine Steuer auf Alkohol und Nikotin sinnvoll scheint, um den Konsum von Drogen zu “bremsen”, könnten Mehrwertsteuern auf grundlegende Lebensmittel wie Obst und Gemüse entfallen. Eine Steuer auf gesunde Lebensmittel würde ja sonst bedeuten, Menschen davon abhalten zu wollen, sich gesund zu ernähren – sie wäre daher kontraproduktiv.

Ebenso wäre denkbar, die Einkommenssteuer abzuschaffen (sie macht es unattraktiv, arbeiten zu gehen). Stattdessen wäre eine deutlich höhere Erbschaftssteuer sinnvoll, um Menschen davon abzuhalten, Unsummen an Reichtum zu horten und dem Wirtschaftskreislauf zu entziehen, und stattdessen soziale Ungleichheiten auszugleichen und Spannungen in der Gesellschaft abzubauen. Aufgrund der neu gewonnenen Freiheit durch MMT-nahe Geldpolitik wären auch sehr großzügige Freibeträge von mehreren Millionen Euro denkbar, um “das Eigenheim der Oma” nicht zu gefährden.

Fazit zur Modern Monetary Theory

In seinen Ausführungen zur MMT zeigt Maurice Höfgen vielleicht tatsächlich ein eher politisch linkes Weltbild – nicht zuletzt, weil er als wissenschaftlicher Berater für Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion angestellt ist. Dennoch gibt es beispielsweise in seinem Interview mit den beiden eher liberal orientierten Finanzjournalisten Mario Lochner und Sinan Krieger viel Zustimmung und Gemeinsamkeiten (https://youtu.be/vgAFQvKCYvM).

Für mehr Informationen zur Modern Monetary Theory hat Maurice Höfgen viele Ressourcen auf seiner Website, seinem Youtube-Kanal und in seinen Büchern zusammengestellt (https://mauricehoefgen.com/). Ein anderer Vertreter der MMT in Deutschland ist beispielsweise der Ökonom Dirk Ehnts, der ebenfalls Dozent und Buchautor tätig ist.

2 Responses

  1. In einem neuen Video stellt Maurice Höfgen einen 10-Punkte-Plan vor, wie er sich eine Verschlankung des Steuersystems vorstellt:

    1. Bagatellsteuern abschaffen (kleine Steuern wie Kaffeesteuer, Schaumweinsteuer, Biersteuer, Zweitwohnsitzsteuer, etc) – viel Bürokratie für wenig Steuereinnahmen; manches würde günstiger, und Verwaltungspersonal könnte sich auf wichtigere Aufgaben fokussieren

    2. Freibeträge erhöhen (bei allen Steuern, großzügig), z.B: Einkommenssteuerfreibetrag von 11.000 auf 25.000€ erhöhen, Erbschaftssteuerfreibetrag auf 1 Mio erhöhen -> weniger Steuerfälle, weniger Bürokratie. Kleine Steuerbeträge tragen nur wenig zu Steuereinnahmen bei; entscheidend sind also eher wirkliche Großverdiener.

    3. Kleinunternehmer großzügiger von Gewerbe- und Umsatzsteuer befreien (zB bis 100.000 € im Jahr). Auch hier: Bürokratie reduzieren, Kleinunternehmer entlasten und Einstieg ins Unternehmertum attraktiver gestalten.

    4. Krankenkassen zusammenlegen. Bei gesetzlichen Kassenleistungen ist ohnehin viel reguliert, sodass kaum echter Wettbewerb besteht. Hier könnte das System effizienter (d.h. kostengünstiger) und transparenter (für den einfachen Verbraucher) gestaltet werden.

    5. ÖPNV ticketfrei und gratis (“einfach einsteigen”). Das 49-Euro-Ticket ist ein Anfang, aber gerade für ärmere Großfamilien auf dem Land ist es noch immer enorm teuer. Die Nutzung des ÖPNV darf keine Gesellschaftsgruppen ausschließen, und Ticketinfrastruktur kostet viel Geld (Schalter, Automaten, Servicemitarbeiter, Kontrolleure, etc). Stattdessen lieber: Servicepersonal ausbauen; sodass auf Fragen von Fahrgästen eingegangen werden kann, Transparenz bei Verspätung etc verbessert wird, und kritische Jobs wie Busfahrer entlastet werden können.

    6. Unnütze Finanz- und Versicherungsprodukte verbieten. An den meisten Produkten verdienen bloß die Finanzberater, ohne dass sie sich für den Verbraucher lohnen. Gut ausgebildete Mathematiker, Ingenieure und Entwickler könnten in anderen Branchen einen größeren Impact auf unsere Gesellschaft haben als in den “Bullshit-Jobs” der Finanzindustrie.

    7. Löhne im öffentlichen Dienst massiv anheben. Pleger, Erzieher und Lehrer brauchen besseres Ansehen und bessere Arbeitsbedingungen. Auf diese Jobs werden wir in den nächsten Jahren enorm angewiesen sein; ohne sie bricht unsere Gesellschaft bald zusammen.

    8. Das Handwerk aufwerten: große Image-Kampagne und höhere Löhne. Statt Fokussierung auf Bachelor- und Masterstudium für jeden Bürger sollte das Handwerk wieder als erstrebenswerte Karriere etabliert werden. Viele hohe Preise in Baubranche und Energiewende sind auf Fachkräftemangel an Handwerkern zurückzuführen.

    9. Eine öffentliche Investitionsoffensive in unsere Infrastruktur: zB müssten Schulen modernisiert werden; unsere Gesellschaft baut auf guter Bildung auf (“wir sind eine Wissensgesellschaft; wir haben Humankapital”). Besonders im Blick auf die Überalterung der Gesellschaft müssen wir Kinder so gut fördern, wie es geht.

    10. Schuldenbremse abschaffen und Kommunen besser finanzieren. Investitionen in unsere Zukunft (Bildung, Handwerk, Klima, Infrastruktur) sind enorm wichtig und dürfen nicht durch eine Schuldenbremse verhindert werden.

    Interessanterweise zeigen sich hier durchaus Forderungen wie Steuersenkungen, die eigentlich gut mit einem liberal-konservativen Parteiprogramm vereinbar wären.

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